2
Sep
2005

Wie man eine Einzelmeinung aufbläst

Unter Journalisten - Zyniker, wie ihr Beruf es mit sich bringt - gibt es diesen uralten Schnack, wie man sein Produkt an den Verbraucher bringen sollte: Nicht dem Angler, sondern dem Fisch soll der Köder schmecken. Im Klartext: Deine Meldung, dein Rundfunk- oder TV-Beitrag muss nicht dir schmecken, sondern dem Konsumenten. Den will man an die Angel kriegen. Da ahnt der Leser oder Zuschauer schon, was anschließend mit ihm passiert. Er kommt in die Pfanne.

Aber nun zum Tage:

Zugegeben, es ist für die Medienmacher nicht einfach, der Hurrikan-Katastrophe in den amerikanischen Südstaaten jeden Tag noch was Neues abzugewinnen. Leichen, Plünderungen, Menschen auf Dächern, überflutete Stadtteile - das hatten wir ja schon gestern und vorgestern. Also braucht man was Neues. Da kommt es dem Redakteur für die vermischte Seite des Tagesspiegels gerade recht, wenn ein (in Worten: ein) republikanisches Mitglied des Abgeordnetenhauses einer Zeitung sagt: "Es sieht aus, als müsste ein Großteil der Stadt (New Orleans) abgerissen werden." Es mache keinen Sinn, Milliarden in die Wiederaufbau einer Stadt zu stecken, die unter dem Meeresspiegel liegt.

Eine Einzelstimme, andere Politiker in Washington widersprachen vehement.

Nun kennen wir ja in Deutschland die mediengeilen Politiker, die vornehmlich am Wochenende zu jedem x-beliebigen Thema Stellung nehmen, zum Beispiel, ob Mallorca deutsch werden soll. Solche gibt es natürlich auch in Amerika.

Dort wie hier sind sie immer wieder für eine Schlagzeile gut. Dazu muss man ihre Einzelmeinung noch ein bisschen aufbauschen, in diesem Fall aus dem "Großteil" der Stadt ganz New Orleans machen und dazu noch unterstellen, die ganze Stadt liege schon in Trümmern. Das ergibt auf Seite 28 des Tagesspiegels die fünfspaltige Schlagzeile:

Soll New Orleans je wieder aufgebaut werden?

Schön aufgeblasen. Allein das "je wieder", das macht die Sache noch dramatischer. Das klingt nach Ewigkeit. Aber keine Sorgen, spätestens morgen ist die Luft wieder raus.

Ich weiß schon, warum "Jaku", mein Chef bei ddp, Überschriften mit Fragezeichen nicht zuließ.

(Übrigens, Helma, mein Weib, mag den Begriff "mediengeil" nicht. Fällt jemandem was Besseres ein?)
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Wie Medien ihre Konsumenten ködern

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