15
Sep
2005

Hier ist sie - Eichels Giftliste

Dem LESER AM HAKEN ist ein sensationeller Rechercheerfolg gelungen, ein richtiger Scoop, wie deutsche Medienmacher sagen würden. Wir haben sie, die einzige authentische Giftliste von Hans Eichel.

Seite aus procent 1-2002

Ja, das stehen einige der Grausamkeiten, die der Mann aus Kassel dem deutschen Steuerbürger antun will - immer noch, wenn man ihn nur lässt.

Zum Beispiel:
  1. höhere Mehrwertsteuer auf Schnittblumen
  2. höhere Gassteuer
  3. Verringerung der Eigenheimförderung
  4. Besteuerung von Dienstwagen
  5. Steuer auf Kursgewinne von Aktien
  6. und - das ist der Gipfel: Unternehmen, die Gewinne machen, sollen auch Steuern zahlen
Zugegeben, diese Liste ist schon etwas älter. Sie stammt aus dem Jahre 2002, als Eichel seine Giftliste sogar selbst veröffentlichte. "procent" hieß das bunte Blättchen, das das Bundesministerium der Finanzen im Dezember in Millionenauflage verteilen ließ.

Nun scheiterte Eichel damals mit seinen Plänen am Bundesrat. Doch ich bin sicher, die Liste ist noch da. Schließlich gehört es sich für einen ordentlichen Finanzminister, immer eine Liste von Einsparmöglichkeiten parat zu haben. Und deshalb bringen seine tüchtigen Beamten eine solche Liste immer wieder auf den neuesten Stand. Und nanchmal schicken sie sie auch der Opposition.

Also eigentlich nichts Besonderes. Es sei denn, es ist gerade Wahlkampf, und BILD braucht neue Munition.

Dann liest sich das so:

Von Arbeitslosengeld bis Mehrwertsteuer
– Finanzministerium will 30 Milliarden einsparen
Eichels geheime Gift-Liste

Von SEBASTIAN v. BASSEWITZ u. EINAR KOCH

Berlin – Was hat Bundesfinanzminister Hans Eichel (63, SPD) vor? Läßt er trotz aller Dementis doch an einer „Giftliste“ mit radikalen Kürzungen arbeiten?
Noch Mitte der Woche versicherte der Minister, er habe keinerlei Pläne für Steuer- oder Abgabenerhöhungen.

WIRKLICH NICHT?

Im Bundesfinanzministerium wird an einem riesigen Kürzungspaket gearbeitet...


Und so weiter, und so weiter. Und natürlich machen alle anderen Springer-Blätter und viele so genannte unabhängige Medien munter mit.

12
Sep
2005

Punktsieg für Merkel

Angela Merkel hat gewonnen. Nein, noch nicht die Bundestagswahl. Es ging nur um die ARD-Sendung "Die Favoriten - Spitzenpolitiker im Kreuzverhör". Da hat sie knapp vor Gregor Gysi gewonnen, vielleicht war`s auch Pari.

Nein, bei meiner Wertung geht es nicht um die Argumente. Aber um die Sprache. Denn da hat Merkel keinen Fehler gemacht. Gysi übrigens auch nicht.

Joschka Fischer hatte einen eher einen kleinen Lapsus. Einen bürokratischen. "Angesichts der gemachten Erfahrungen". Das ist reines Bürokratisch. Denn Erfahrungen, die man nicht gemacht hat, sind halt keine. Aber als Bürokrat sichert man sich halt gern ab.

Westerwelle übertrieb wie gewöhnlich. Er macht aus einer Million gleich mehrere, wenn er meint "eine Millionen mehr Menschen arbeitslos". Klingt einfach mehr als eine Million.

Schröder kennt den Genitiv nicht, typisch für ihn. Denn er geht immer geradeaus. Genitive wären ja nur Umwege. Also heißt es bei ihm: "seit April diesen Jahres" (wurde alles besser).

Edmund Stoiber berichtete: "Wir beide waren zusammen im Bundesrat gesessen." Aber das wollen wir mal als bayerische Mundart tolerieren.

11
Sep
2005

Genetiv auf die Rote Liste

Ich höre häufig am Samstag Nachmittag die Bundesliga-Konferenz der ARD. Auch gestern wieder. Da fiel mir mal wieder auf, wie gefährdet unser guter alter Genetiv (oder Genitiv) ist, der - wie wir damals in der Schule gelernt haben - Wes-Fall.

Der Moderator im Studio leitete zum Spiel der Münchner gegen die Nürnberger über und meinte, er wolle wissen, was denn "im Stadion des Club" laufe. Nein, es war kein Versprecher, denn beim nächsten Mal sagte er, nun gehen wir "zum Spiel des Club".

Die Moderatoren von Hörfunksendungen scheinen besonders anfällig für den Verlust des Genetivs zu sein. Da höre ich gerade InfoRadio Berlin-Brandenburg. Moderator Stephan Ozsváth sinniert übers Wetter: "Was da draußen in der Natur passiert, kann man getrost als Vorboten des Herbst ansehen."

Der Genetiv müsste auf die Rote Liste der gefährdeten Arten gesetzt werden. Besonders gefährdet ist er durch die, die eigentlich die Hüter der Sprache sein müssten, den Journalisten.

Vor einiger Zeit - es ist wohl etwa ein Jahr her - wurde ich ganz blass, als die Redaktion des Tagesspiegels ihr eigenes Medium des Genetivs beraubte und nur noch von der "Redaktion des Tagesspiegel" sprach. Im Deutschlandfunk wurde vermeldet "nach Angaben des Pentagon". Und Jan Hofer schlug am 25.9.05 in der Tagesschau dem Fass die Krone ins Gesicht, als er Nochkanzler Schröder mit den Worten zitiert, "das sei seine Auslegung des Wahlergebnis".

Beim Tagesspiegel habe ich inzwischen eine leichte Besserung festgestellt. Aber wie die Funkkommentatoren und viele andere zeigen, ist das Problem noch nicht bewältigt.

9
Sep
2005

Opferzahlen

Eine meiner größten, wenn auch unverschuldeten journalistischen Pleiten waren die Meldungen über den Unfall eines Tanklastwagens im hessischen Herborn. Der Lkw war in eine Eisdiele gerast und die Konkurrenz meldet, es könnten zahlreiche Menschen ums Leben gekommen sein.

Ich war bei einer Nachrichtenagentur und hatte Dienst in der Redaktion. Ich telefoniere mir die Finger wund. Endlich bekomme ich die Polizei in Herborn an den Apparat. Der Beamte sagt, es gebe mindestens 30 Tote. Ich jage eine Eilmeldung raus. Die Konkurrenz zieht nach. Später zitiert der Rundfunk einen Polizisten, so viele Leichen wie in der Eisdiele habe er noch nie auf einmal gesehen.

Am nächsten Tag ist die Situation klar: Vier Tote, später erhöht sich die Zahl auf fünf. Schlimm genug. Aber für mich ist das eine Lehre.

Und deshalb bin ich so skeptisch, was Opferzahlen angeht. Wie gesagt, bei den Medien gilt das Prinzip, wonach die höchste Zahl gewinnt.

Deshalb wurde jetzt auch tagelang die Zahl von vermutlich 10.000 Toten bei der Hurrikan-Katastrophe verbreitet, dann noch getoppt durch die Meldung, die Behörden hätten 25.000 Leichensäcke zur Verfügung gestellt.

Ich bin sehr gespannt, wie viel Opfer es am Ende wirklich sein werden.

7
Sep
2005

Wenn's beim Schreiber drängt

"Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles." Ja. der Geheimrat aus Weimar konnte das Verb "drängen" im Vergleich zu "dringen" noch richtig verwenden.

Auch mein damaliger Chef Jaku konnte es noch. Er formulierte es immer sehr drastisch: "Drängen tut's einen auf dem Pott." Seitdem hat keiner von uns noch geschrieben: Der Politiker xy drängte auf eine schnelle Steuersenkung. Natürlich drang xy auf seine Steuersenkung.

Auch der Spiegel konnte es lange noch. Er verwendete "drängen", wenn es darum geht, jemanden zu etwas zu bewegen. Etwa: xy drängte seinen Parteivorsitzenden, endlich eine Initiative zur Steuersenkung zu ergreifen. Der Spiegel hat offenbar in seinem Lektorat gespart. Seit längerem ist bei ihm das "dringen" ausgestorben. Heute heißt es zum Beispiel: "Der Gießener Verkehrswissenschafter Gerd Aberle drängt nun auf schnelle Entscheidungen auch in Deutschland." (Nr. 36, S.64)

Ist halt viel bequemer, das regelmäßig gebeugte Verb "drängen" zu verwenden, als sich mit der unregelmäßigen Beugung von "dringen" herumzuquälen.

6
Sep
2005

Wenn der Redaktionsdirektor leitartikelt

Wenn Gerd Appenzeller, seines Zeichens Redaktionsdirektor beim Tagesspiegel, einen Leitartikel verfasst, dann kann man sicher sein, dass er sich die Fakten so zurecht biegt, dass sie zu seiner Meinung passen. So wie heute. Appenzeller hat einen Tag nachgedacht und kommentiert unter der Zeile "Froschkönig vs. Aschenputtel" das vorgestern ausgestrahlte TV-Duell von Schröder und Merkel.

Die Rolle des Froschkönigs hat er Schröder zugedacht. Diese Besetzung verstehe ich nicht. Wer küsst denn da den Frosch?

Vielleicht Gerd Appenzeller selbst? Er muss ja den Froschkönig schon sehr lieben, damit er allen, die nicht ihn, den Kanzler, als Sieger des Duells gesehen haben, kräftig unter die Gürtellinie schlagen kann. Das geht los mit der Eingangsfrage: "Sind Medienleute manchmal dumm, blind oder Opfer von Zwangsvorstellungen?"

Um aus der Frage eine Tatsachenbehauptung zu machen, erklärt Appenzeller erst einmal, "viele" Medienleute hätten anders als die Meinungsforscher Merkel als Siegerin gesehen. Das ist ja, wenn man sich nicht auf die Bild-Zeitung berufen will, zumindest umstritten. Uli Jörges vom Stern, der mit in Adlershof war, berichtet, er sei in der Halle unter den Medienleuten der einzige gewesen, der die CDU-Chefin vorn sah. Aber vielleicht war das Meinungsbild in der Redaktionskonferenz des Tagesspiegels anders.

Jedenfalls sind es laut Appenzeller "viele", die Merkel als Siegerin sahen. Er sinniert, ob die alle so blöd sind, der Kandidatin unbewusst einen Frauen-Bonus zu geben. "Oder", und da wird der Redaktionsdirektor unverschämt, "ist es vielleicht, unbemerkt, der reine Opportunismus? ... Weil man ahnt, dass Angela Merkel nach menschlichem Ermessen diese Kanzlerschaft nicht mehr zu nehmen ist. Und weil, wenn das so ist, man besser rechtzeitig den Kontakt zur Union spinnt?""

5
Sep
2005

Ludger Schulze und die Grammatik

Wenn sich Sportjournalisten mit Grammatik befassen, dann kann der Schuss nach hinten los gehen. So passierte es Ludger Schulze von der Süddeutschen, der heute (5.9.05) ein Stück über den Torwartstreit der DFB-Mannschaft folgendermaßen einleitet:

Dazu sage ich nichts. Das ist ein einfacher deutscher Satz, klar strukturiert, Subjekt-Prädikat-Objekt, wie man es im Deutsch-Unterricht gelernt hat.

Ludger, da musst du wohl ein paar Stunden versäumt haben.

Opfer als Instrumente

Spiegel Online hält Umweltminister Trittin vor, noch bevor die Leichen in Amerika gezählt seien, kritisiere er die US-Klimapolitik.

Zitat: "In einem Moment, wo im Süden der USA die Leichen noch nicht gezählt sind, fällt dem deutschen Umweltminister nichts anderes ein, als dem amerikanischen Präsidenten in einem von der 'Frankfurter Rundschau' veröffentlichten Aufsatz zu bescheinigen, dass die USA letztlich selbst schuld seien an dieser Katastrophe."

Ich meine, gerade jetzt, wo der Schock über das Unglück im Süden der USA noch frisch ist, muss über die Klimapolitik diskutiert werden. Interessant, dass gerade der "Spiegel", wenn auch nur Online, zur Diskussionsenthaltung aufruft. Da ist er übrigens in trauter Gesellschaft mit der Springer-Presse und Gerhard Schröder, die auch nichts Besseres zu tun hatten, um Trittin vorzuhalten, er instrumentalisiere die Opfer. Der Minister hatte allerdings seinen Artikel geschrieben, als der body count noch gar nicht begonnen hatte - im einzelnen nachzulesen hier:

http://www.medienrauschen.de/archiv/2005/09/01/who-cares-about-the-flut-opfers/

Inzwischen sind sie aber alle fleißig dabei. Spiegel Online macht fleißig mit und befragt sogar einen Bestattungsunternehmer. Das geht bei der Beschreibung der Arbeit der Bestatter nach bester Spiegelmanier bis ins Detail: "Als die Ladetür aufgeht, wird der süßliche Geruch für einen kurzen Moment unerträglich."

Grundsätzlich gilt: Die höhere Opferzahl verkauft sich besser als die niedrige. Die höchste hat mit "über 10.000" bisher Senator David Vitter aus Lousiana vorzuweisen und wurde daraufhin fleißig gedruckt und gesendet, zum Beispiel am 3. September im Tagesspiegel.

Da frage ich mich, wer instrumentalisiert hier wen?

4
Sep
2005

Sonntagsinterviews - No News

Apropos aufblasen - heute ist Sonntag, und Helmas geliebter Tagesspiegel hat natürlich wieder mal einen Exklusivaufmacher. Das heißt, nach Meinung der Redaktion (oder des Chefredakteurs) ist das die wichtigste Story des Tages. Sie muss natürlich auf die Seite eins.

Beim Tagesspiegel und nicht nur bei ihm ist der Wochenendaufmacher fast immer ein Interview, das die Redaktion selbst geführt hat. Das kommt nach vorn, ob der Gesprächspartner oder die Partnerin was gesagt hat oder nicht. (Mit sagen meine ich nicht nur Wortblasen ablassen.)

Dieses Mal war Angela Merkel die Intervierwpartnerin des Tagesspiegels. Und wie lautet die Schlagzeile des Aufmachers? Ja, wie wohl?

Merkel sieht im TV-Duell "riesige Chance"

Das ist ja dann wirklich eine Überraschung.

Und was ist nach Meinung des Tagesspiegels die zweitwichtigste Meldung des Tages? Die findet man in der linken Spalte:

Die erste Hilfe erreicht New Orleans

Vom gestrigen Aufmacher im Vermischten finde ich hier immerhin noch eine Antwort, sogar aus dem Munde von George DoubleJu. Ja, New Orleans soll wieder aufgebaut werden. Thema erledigt.
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